Mir fehlen die Worte

„Mir fehlen die Worte ich/hab die Worte nicht/dir zu sagen was ich fühl’/ich bin ohne Worte ich/finde die Worte nicht/ich hab keine Worte für dich“

Das sind eigentlich die Worte von Tim Bendzko, und eigentlich besingt er damit seine Unfähigkeit, der Angebeteten seine Gefühle zu offenbaren (und eigentlich finde ich Tim Bendzko nur so mittel gut), aber sie beschreiben irgendwie ganz treffend die Sprachlosigkeit, die auch mich zuweilen beschleicht. Und das, obwohl ich bekanntermaßen mein Geld mit dem Suchen und Finden der passenden Worte verdiene.

Wenn mir jemand dumm kommt, stehe ich oft genug selbst dumm da – bzw. stumm. „Schlagfertigkeit ist etwas, worauf man erst 24 Stunden später kommt“, so der US-amerikanische Schriftsteller Mark Twain. Wie wahr. Als ich neulich mit zwei Freundinnen ein Siegener Lokal besuchte und wir zahlen wollten, musste ich mir mein Portemonnaie auf der Suche nach Kleingeld praktisch direkt unter die Nase halten, weil das Licht so schummrig war. Dieses Fischen im Trüben ging der Bedienung offenbar zu langsam: ungefragt langte sie in mein Münzfach und nahm sich das gesuchte Zwei-Euro-Stück heraus. Sie ließ mich mit einem verdatterten „Äh…“ auf der Zunge zurück.

Wenn jemand stirbt/von uns geht/tot ist und nicht wiederkommt, dann möchte man denen, die noch da sind und das alles verstehen wollen/müssen etwas Tröstendes sagen, ihnen zeigen, dass man für sie da ist – und scheitert doch jedes Mal wieder bei dem kläglichen Versuch, dieses Gefühl in Worte zu fassen. „Es tut mir so leid“ klingt so trivial, „Herzliches Beileid“ so furchtbar antiquiert – und das Angebot, immer da zu sein, irgendwie nach leerer Versprechung. Kann ich denn überhaupt irgendetwas sagen oder schreiben, was den Tod irgendwie erträglicher macht? Ist das überhaupt das Ziel?

Wenn Flüchtlingsunterkünfte angezündet werden und davor eine fahnenschwenkende Masse „Wir sind das Volk“ skandiert, dann bin ich sprachlos vor Wut und Verständnislosigkeit. Dann geht mir einfach nicht in den Kopf, woher all diese Angst und der Hass kommen, und wie jemand das Glück, in Frieden und Freiheit zu leben, nicht als solches begreifen sondern als sein alleiniges Vorrecht erachten kann. „Wenn ihr das Volk wärt, wäre ich Flüchtling“ – das Foto eines Plakats mit dieser Aufschrift entstand auf einer PEGIDA-Gegendemonstration. Gut gesagt. Ich stehe immer noch fassungslos da und ringe um Worte.

Zugegeben: das sind wirklich sehr unterschiedliche Situationen. Und doch haben sie meiner Meinung nach eines gemeinsam. Vielleicht ist es nämlich gar nicht so entscheidend, WAS man eigentlich sagt. Sondern dass man es überhaupt tut. Ein spontanes „Hallo?!“ vom Stapel lässt, wenn jemand ungefragt in unsere Taschen langt. „Es tut mir so leid“ stottert, wo jedes noch so liebgemeinte Wort sinnlos erscheint. Und nicht müde wird zu erklären, warum Menschen auf der Flucht Hilfe verdienen statt Hass.

Ich wünsche uns jedenfalls allen, Worte zu finden. Ob es immer die richtigen sind – wer vermag das schon zu sagen?

 

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